Sonntag, 17. Oktober 2010

Über alle Grenzen

Wien ist seit Jahrhunderten ein Schmelztiegel verschiedener Nationalitäten. Soweit, so bekannt. Hier eine kleine Geschichte einer wahren Begebenheit:
Ein junges Ehepaar, Mitte 20, ein warm eingepacktes Baby und ein Kinderwagen kommen Anfang November über die Grenze in ein Österreich, das seit ein paar wenigen Monaten zu einem freien Land geworden ist. Das Mädchen ist das einzige Gepäck für diese jungen Menschen, ihr Universitätsabschluss in Ungarn ihr einziges Kapital.

    Alle Fotos: Weißstörche in der Ungarische Tiefebene und Tokaj, Ungarn 2009

Sie haben sich schweren Herzens von ihrer Heimat und Familie getrennt und mit Vertrauen in die eigene Kraft in eine unsichere Lage begeben, mit der Hoffnung auf ein gutes Leben ohne Angst vor dem Gefängnis. 
Herbst 1956, Ungarnaufstand, 200 000 Menschen kommen im Burgenland über die Grenze von Ungarn nach Österreich.

Weltweit gesehen ein sehr häufiges Schicksal, in millionenfacher Wiederholung.

Die Familie hatte Glück, zwei Wochen später hatte der Akademiker eine Arbeit als Gärtner und eine Wohnmöglichkeit für seine Familie. Es war Hoffnung da, eine Perspektive, ein wenig Geld, um sich zu versorgen. Carepakete von der österreichischen Bevölkerung gespendet, halfen nicht nur materiell sondern gaben das Gefühl, willkommen zu sein. So gab es von Beginn an von beiden Seiten die Bereitschaft zur Integration und ein erfolgreiches Leben nahm seinen Lauf. Vier weitere Kinder wurden geboren, beide Eltern arbeiteten viel und taten alles dafür, um ihren Kindern einen guten Start ins eigene Leben zu ermöglichen.

Die österreichische Bevölkerung war damals reich an Mitgefühl und der Bereitschaft zu helfen, obwohl die Menschen selbst nicht viel hatten. Zwei große Kriege und wirtschaftlich schwere Zeiten hatten viele Wunden geschlagen. 


Meine Eltern waren das besagte Paar, ich selbst konnte meinen ersten Geburtstag in einem Land feiern, das an die Freiheit und Chancengleichheit aller Bürger glaubte und dafür werde ich immer dankbar sein.



Auch heute kommen Menschen mit ihren Familien in eines der reichsten Länder der Welt mit der Hoffnung auf ein besseres Leben, der Bereitschaft sich einzubringen und mit dem Wunsch dazuzugehören. Integration kann nur gelingen, wenn beide Seiten positiv zueinander stehen. Oft braucht es gar nicht einmal viel, die richtigen Signale und die Gewissheit, dass alle Beteiligten vom Miteinander profitieren, können wertvolle Schübe in die richtige Richtung erzeugen.



Vorige Woche nahm ich an der Geburtstagsparty meiner einjährigen Nichte in Wien teil. Sechs Freund/Innen feierten mit. Da wurde spanisch, serbokroatisch, slowenisch, ungarisch und deutsch gesprochen. Ein fröhlicher Nachmittag über alle Grenzen hinweg. Es machte mich glücklich, ein Teil dieser selbstverständlichen und liebevollen Begegnungen gewesen zu sein.


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