Mittwoch, 23. November 2016

Bedürfnis nach Wärme

Zum runden Geburtstag vor bald einem Jahr hatte ich diese Schneerose bekommen, die mit kurzen Unterbrechungen während frostiger Perioden den ganzen letzten Winter unermüdlich in seinem kleinen Topf neben der Haustüre blühte. Im Frühjahr stopfte ich die unansehnlichen Überreste unter dem Haselstrauch in die Erde und siehe da, nachdem das abgefallene Laub und sonst so allerlei Topfinhalte, die während der warmen Monate schnell mal unter das Blätterdach der Hasel entsorgt, kürzlich entfernt waren, leuchteten mir gestern diese Knospen entgegen. Die Schneerose beginnt wieder ihren Blütenreigen und wird ihn trotz Kälte und Frost bis zu den warmen Tagen im März aufrecht erhalten. Ich kann gar nicht in Worte fassen, was mir das dieses Jahr bedeutet.




Manchmal zieht es schwer an mir, die Entwicklungen in der Welt, jedenfalls diejenigen, die uns ununterbrochen medial präsentiert werden. Aber nicht nur dort, inzwischen auch direkt erlebte Realität. Sollen wir wollen, dass es kälter wird, mit den Temperaturen auch in unseren Herzen? Manchmal kommt es mir so vor.
Was treibt uns an, was brauchen wir für ein gutes Miteinander? Simples Mitgefühl, sich in einen anderen hineindenken, kann man sich das noch leisten? Zu Beginn des Advents stellen sich mir diesesmal ganz andere Fragen als in den Jahren zuvor. Es geht nicht mehr darum ob wir weniger dem Kaufrausch verfallen oder uns Zeit für Besinnung und Ruhe nehmen, auch nicht darum, was sein muss oder weggelassen werden kann.

Am Sonntag vor Beginn der weihnachtlichen Zeit streifen wir über Plätze der Wiener City. Stricken scheint zurzeit im Trend zu liegen, wie sonst kann man diese Auslagendekoration interpretieren. Riesige Ballen von Kammzügen und daraus gestrickte Vorhänge dahinter zeigen mir dann mehr das Bedürfnis nach Herzenswärme. Denn es ist warm in Wien.



Die Schanigärten sind gut besucht, egal ob mit oder ohne Wärmelampen ausgestattet. Die Stadt ist voll von Touristen, man genießt die hellen Stunden im Freien bei Kaffee und Apfelstrudel und auf den an jeder Ecke befindlichen Weihnachtsmarktstandeln und Punschhütten. 






Amerikaner spielen Straßenmusik, man ertappt sich beim Gedanken, ob sie wohl zu den Auswanderungswilligen gehören und gerade hineinschnuppern in die europäische Welt. Sie spielen gottlob noch keine Weihnachtsmusik. Schlimm, dass diese so negativ besetzt ist, aber gut wenn das unsere einzigen Sorgen wären.



Je mehr die Engeldichte in der vorweihnachtlichen Zeit zunimmt und das tut sie konstant seit Jahren, umso mehr frage ich mich, was man landläufig so damit verbindet. Ist halt süß, sie lassen wahrscheinlich die Kassen klingeln und das wars dann. Eine Welt jenseits der Konsumwelt? Eine Welt die sich Mitgefühl und Herzenswärme leistet, welche nichts einbringt außer das Gefühl menschlich sinnvoll gehandelt zu haben und so, wie man selbst auch behandelt werden möchte mit anderen umgeht. Dazu bräuchte man nicht mal eine Religion.



Manchmal verzage ich ein bisschen, selbst dann, wenn ich denke, dass diejenigen, die eine extremere Wortwahl im Ausgrenzen anderer Menschen verwenden, hätten ihre Gründe dafür und könnten es nicht besser. Wo sind die anderen, die gefestigten, die zeigen, dass es auch anders geht. Es gibt sie in großer Zahl, aber immer öfter verstummen sie, weil sie immer öfter öffentlich eingeschüchtert, bedroht und lächerlich gemacht werden.





Kleine Zeichen der Liebe, des Miteinanders und Mitgefühls werden in diesen Tagen immer wichtiger. Wir dürfen nicht verstummen und so tun, als wäre alles gut. Vieles ist nicht gut und das zeigt sich immer deutlicher. Daneben gibt es fast täglich Zeichen echter Freundschaft und ein Dasein füreinander. Das gibt Kraft. Aufgeben ist keine Option. Wegschauen allerdings auch nicht. Das ist anders geworden.

Zurück zum Garten: Wir starteten einen Versuch im Gemüsebeet. Auf eine Schicht Laub kamen Kartoffeln, die wieder mit einer Schicht Laub bedeckt wurden. Darüber Erde gehäufelt. Wenn der Winter mild wird sollte das klappen und wir können sehr zeitig Kartoffeln ernten. Das geht so: Die Kartoffeln fangen an zu treiben, weil die Laubschicht beim zerfallen etwas Wärme erzeugt. Die Triebe bleiben an der kalten Erde nach oben und unten hin stehen, bis diese im Frühjahr wärmer wird und starten dann schnell durch. Soweit die Theorie. Lassen wir uns überraschen. Bis dahin werde ich täglich nach meinen Schneerosen schauen und nicht aufgeben an eine bessere Welt zu denken und zu glauben.


  


9 Kommentare:

  1. Welch schönes Symbol der Hoffnung, deine Christrose!-
    Deine Sorgen & Gedanken teile ich nun seit Wochen & Monaten, veranlassen sie mich doch, immer stärker im Blog auch politisch Stellung zu beziehen. Ich ziehe daraus Kraft, auch wenn ich jetzt schon mal unangenehme Kommentare hinnehmen musste. Nur Mut! ( Und Anfang Dezember mit Abstimmen...)

    Herrlich, deine Wienbilder. Wär mal an der Zeit wiederzukommen. Aber jetzt ist erst einmal ein anderer Ort dran...
    GLG
    astrid

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  2. wie immer, so schön geschrieben. ich hatte auch so gerne schneerosen, aber ohne schnee und mit saurer erde nicht so einfach! dafür entdeckte ich gestern rechte neue blättchen und viele fast aufplatzende knospen am holunder hinterm haus und viele triebspitzen von frühlingsanemonen und narzissen. heute gegen mitternacht werde ich mal wieder im 13. bezirk einrollen, gut, dass es noch nicht so kalt ist!

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  3. Hallo, liebe Elisabeth,

    also mir ist derzeit meistens eher kalt in Wien (mal abgesehen von vorgestern) was aber wohl auch sehr stark damit zu tun hat, dass es in Namibia viel wärmer war. Und viel menschenleerer. Ein Umstand, den ich sehr genossen habe. Mir sind hier einfach zu viele Menschen, nicht nur in der Wiener Innenstadt. Auf jedem Gehsteig, in jeder U-Bahn, auf der Autobahn. Dieses Getümmel! Selbst wenn ich versuche, mich nicht von der allmorgendlichen oder allnachmittäglichen Hektik mitreißen zu lassen, werde ich in die U-Bahn hineingedrängt oder aus ihr heraus, in die Flut gerissen, die zu den Stiegen oder Rolltreppen drängt, … Der U-Bahn-Fahrer lässt bereits die Durchsage „Steigen Sie nicht mehr ein“ laufen, während noch nicht einmal alle ausgestiegen sind. Eine Atmosphäre, in der es nur schwer erreichbar ist, Frieden zu empfinden, Menschenfreundlichkeit, Ruhe, innere Harmonie, Wärme. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wo man da ansetzen kann. Bei sich selbst? Nunja, nur indem man sich ausklinkt aus alledem, glaube ich.

    Alles Liebe – und ich gratuliere dir herzlich zum Oma-Werden!!! :o)

    Traude

    http://rostrose.blogspot.co.at/2016/11/out-of-africa.html

    PS: Finde ich toll, die Blühfreudigkeit deiner Schneerose – bei mir werden die nie etwas, weder im Topf noch in der Gartenerde. Deinen Kartoffeltrick werde ich abkupfern, wenn du im nächsten Jahr Ernteerfolge erzielst ;-)

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    1. Kann ich sehr gut nachvollziehen Traude! In Menschenmengen ist es wohl immer schwerer in der eigenen Mitte zu bleiben und die Natur tut sowieso viel für die innere Balance. Werde von den Kartoffeln berichten :-)

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  4. Ich kann mich Deinen Worten nur anschließen. Wir müssen uns zu Wort melden. Das Kitschige an der Vorweihnachtszeit stört mich auch, vor allem das Gedudel in den Städten. Aber für uns konnten wir die Familientraditionen pflegen ohne in den Kitsch zu verfallen. Ich wünsche Dir eine ruhige Zeit.
    LG
    Magdalena

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  5. Nichts ist wie zuvor und alles wird anders sein in Zukunft, das werden besonders die Kinder und Enkel spüren.
    Gerade vorgestern sprach ich mit einer Freundin darüber, dass kaum noch einer von den Jungen bereit ist ein Ehrenamt zu übernehmen. Ich will nicht überheblich klingen, aber ich hatte zeit meines Lebens welche und oftmals zwei nebeneinander. Das ist traurig. Die Spendenbereitschaft ist auch sehr zurückgegangen und Nachbarschaftsmiteinander auch. Ich will nicht so sein, ich helfe, wenn ich es kann. Es ist kalt geworden in unserem Land.

    Sigrun

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  6. sehr schön hast du das geschrieben..
    und die Christrose ist immer wieder ein kleines Wunder im Winter..
    ich hatte früher auch nie Glück damit..
    aber jetzt blüht eine auf dem Grag meiner Mutter..
    und ich habe mir 2 Exemplare gekauft..
    wenn sie nicht gedeihen wollen soll man ihnen etwas Blaukorn geben sagte mir mein Vater.. ..
    ich bin einmal gespannt ob das mit den Kartoffeln gelingt und sie nicht erfrieren..

    ja.. die Herzenswärme.. man vermisst sie schmerzhaft
    vor allem wenn man sieht wie rüpelhaft sich jemand benimmt der Präsident werden soll :(
    und leider ist er nicht alleine..
    denn das Vorbild macht Schule..
    man muss sich mit aller Gewalt dagegen stemmen..
    liebe Grüße
    Rosi

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