Einer meiner Brüder hat für ihn Modelle für viele seiner Bauvorhaben gebaut. In Wien kommt keiner an ihm vorbei, bei Touristen rangiert das Wohnhaus in der Löwengasse ziemlich weit vorne im Besuchsprogramm. Aber dass jemand zufällig über Friedensreich Hundertwasser, respektive seine Architektur stolpert, scheint unglaubwürdig. So viele, von ihm geplante Anlagen stehen dann doch nicht herum. Genau das ist uns aber auf der Rückreise aus Kiel im September passiert. Die Hauptroute von Norden meidend, fanden wir uns in Magdeburg wieder, ein kurzer Abstecher von der Autobahn für einen Kaffee und wir fuhren an der größten und letzten, von Hundertwasser geplanten Anlage zufällig (fast) vorbei. Für einen Moment fassungslos, ich hatte es zwar irgendwie gewusst, aber dann doch vergessen gehabt, war es, als ob wir von unsichtbarer Hand geradewegs hierher geführt worden wären.
Vor ziemlich genau 6 Jahren eingeweiht, Hundertwasser war 5 Jahre davor gestorben, fügt sich dieser kolossale Wohnbau recht harmonisch in das vorhandene Ambiente ein, trotzdem gab es, wie ihr euch sicher vorstellen könnt, viele Gegner dieses Projektes.
Hundertwasser war radikal in seinen Visionen und von meinem Bruder weiß ich, dass er sehr genaue Vorstellungen hatte, an denen nicht zu rütteln war. Ob Müllverbrennungsanlage (Wien), Gymnasium (Wittenberg), Kirche (Bärnbach), Bahnhof (Uelzen),Brunnenanlage (Zwettl), Thermalbad (Bad Blumau), Autobahnraststätte (Bad Fischau), oder Wohnhausanlage (Wien, Magdeburg), die Gestaltung war von der Idee getragen, der Natur und den Träumen der Menschen wieder einen größeren Stellenwert im Leben zu geben. Diese neuartige Architektur sollte Individualität und Kreativität in Harmonie mit der Natur ermöglichen.
Zwei große Innenhöfe mit unregelmäßiger Pflasterung, 285 verschiedene Fenstertypen und 856 Fenster, unzählige Rosatöne auf der Fassade. 171 Bäume (im/am Gebäude) nebst 264 anderen Gehölzen sind ein wichtiges Element im Wohnkonzept. Die Mieter verpflichten sich per Vertrag, einen Baum im Haus zu pflegen, um der Natur etwas, das man ihr durch dieses Gebäude genommen hat, wieder zurückzugeben. Die Bäume wiederum spenden Schatten und verbessern das Mikroklima. So die Idee. Von Wien weiß ich, dass es mit Parkbäumen auf Balkonen oder Dachgärten im Lauf der Jahre große Probleme geben kann. Die starken Wurzeln halten sich nicht immer an das Bedürfnis der Bewohner nach Wohnungswänden ohne Risse.
Radikal und revolutionär, so erleben Menschen diese Art der Architektur, manchen ist sie zu verspielt oder schlicht zu bunt. Hinter der Geschmacksfrage steht dann doch ein weitreichendes Konzept und der Gedanke, wieder mehr, auch im städtischen Bereich mit der Natur zu leben und organischer zu bauen. Das bedeutet konkret, dass kein Grundriss, keine Tür, kein Fenster, keine Säule ganz gleich ist.
Die Magdeburger und nicht nur die Bewohner lieben "ihren" Hundertwasser mittlerweile, die "Grüne Zitadelle" ist zu einem Touristenmagnet geworden. Neben Wohnungen gibt es innerhalb der mehr als 4000m² bebauten Fläche Geschäfte, ein Hotel, Büros und einen Kindergarten in diesem Gebäudekomplex.
Auch wenn es Argumente gegen eine solche Art des Bauens gibt, wundert es mich, dass noch niemand sonst in der Architektur ähnliche Konzepte verwirklicht. Vielleicht kenne ich es ja nur nicht.
Ein weiterentwickeln, ein fortführen? Fände ich spannend. An glatten, sterilen Glasfassaden hätte ich mich fast schon sattgesehen.